Montag, 22. Januar 2018

Wunder vollkommener wahrnehmen

Nach meiner Augen-OP bewundere ich die Kunst des Arztes, mir ohne spürbare Komplikationen eine neue Linse einsetzen zu können. In beide Augen fällt jetzt wieder etwa gleich viel Licht. Jedoch habe ich festgestellt, dass die küstliche Linse mehr Anteile des warmen Lichts herausfiltert. So habe ich den Arzt gebeten, mit der OP des zweiten Auges noch so lange zu warten, bis sich auch dort der Lichteinfall durch den grauen Star merklich eingetrübt hat. Hätte ich nun zwei künstliche Linsen, müsste ich mich fragen, ob ich die Wunder dieser Welt noch vollständig sehen könnte.
Siebziger Donald L. Hallstrom
Was ich hier augenoptisch vordergründig feststelle, war überraschender Weise auch im sonntäglichen Unterricht eine Frage. Wir sprachen über Elder Hallstroms letzte Konferenzansprache "Hat der Tag der Wundertaten aufgehört?" (https://www.lds.org/liahona/2017/11/sunday-morning-session/has-the-day-of-miracles-ceased?lang=deu)
Nach dem Eingangsbeispiel eines Bergwanderungsunglücks, bei dem das Leben des tief Abgestürzten gerettet werden konnte, und dem Zitat aus dem Daniel-Buch mit der Rettung der drei Todeskandidaten aus dem Feuerofen hat die Frage meine Gedanken bewegt, ob wir nur dann von Wundern sprechen, wenn das Geschehen offensichtlich gut ausgegangen ist. "Was ist (aber tiefergründig gefragt) mit denen, die große Bedrängnisse erleiden und das über Jahre, Jahrzehnte oder ihr ganzes Leben Lang? Hat (für sie) der Tag der Wundertaten aufgehört?"
Elder Hallstrom schlussfolgert, dass wir vielleicht nicht verstehen, was ein Wunder ausmacht. Wenn wir es als Ereignis beschreiben, das sich tatsächlich zuträgt, obgleich es durch göttliche Macht zustande kommt oder obwohl es aus menschlicher Erkenntnis heraus nicht verstanden wird, dann erweitern wir unsere Sichtweise und lernen die Rolle des Glaubens bei einem Wunder verstehen.
Die drei Jünglinge, die im Feuerofen sterben sollten, hatten dem König Nebukadnezar zu verstehen gegeben, dass sie seine Götter nicht verehren werden, auch wenn sie zu sterben hätten. Sie würden weiter voll und ganz ihrem Gott und seinem Plan des Lebens vertrauen. Auch den Angehörigen des Unfallopfers am Berg attestiert Hallstrom, dass sie ohne Hadern aus vollem Glauben heraus auch einen unglücklichen Ausgang des Geschehens angenommen hätten. Darin sähe er das eigentliche Wunder. Wäre dann die Rettung selbst kein Wunder mehr? -
Mir ist bewusst geworden, dass Wunder sowohl physischer als auch geistiger Natur sind, wobei der  geistige Aspekt letztlich entscheidend ist. Will ich Wunder wirklich wahrnehmen, dann muss ich Glauben haben. In ihm können wir uns vervollkommnen.
Neal A. Maxwell (1926-2004)
Das zeigt mir beispielhaft die letzte Konferenzansprache des 2004 an Krebs verstorbenen Apostels Neal A. Maxwell (https://www.lds.org/liahona/2004/05/remember-how-merciful-the-lord-hath-been?lang=deu). Er hielt sie knapp drei Monate vor seinem Tod, wie er einleitend selbst sagt, zwanglos und dankerfüllt. Es war ein Zeugnis für die wundervolle Barmherzigkeit Gottes, die sich rückblickend auf sein Leben in unspektakulären Ereignissen darstellte:
beim Abendmahlsdienst in seiner Heimatgemeinde und im Schützengraben an der Front,
bei der Auswahl von Kinderliedern in der Kirche früher und heute,
bei der Fürsorge um Kinder in Armut und Wohlstand,
bei der Reaktion auf Zurechtweisung von Kindern und Erwachsenen,
bei der Bewältigung des Lebens durch Behinderte und Vollsinnige,
bei ungestümer Wunscherfüllung und bedachter Entscheidung,
bei Reaktionen eines jungen Vaters seinen Kindern gegenüber,
beim Verhalten von Kirchenmitgliedern, die ihren Glauben verloren,
bei dem Rat eines einfachen Hoteldieners an durchreisende Kirchenautoritäten
sowie dem seiner Ehefrau die berufliche Kariere betreffend und schließlich
bei der Erwartung eines Enkels an seinen überraschend zu Besuch kommenden Apostelopa.
Meine Überschrift zu diesen Gedanken sollte zuerst sein: "Können wir heute noch Wunder sehen?"
Nach den obigen Gedanken habe ich sie wie folgt geändert: "Wunder vollkommener wahrnehmen." Es liegt an dem Stand des eigenen Glaubens, Wunder zunächst als spektakuläre Ereignisse zu sehen, um sie dann entsprechend dem sich heranbildenden Vertrauen als Walten eines fürsorglichen Gottes wahrzunehmen.


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