Abi für alle! Anant
Agarwala 30.
März 2017
"Nie zuvor gingen so viele Schüler aufs Gymnasium.
Nie zuvor schafften so viele das Abitur.
Nie zuvor schrieben sie so gute Noten.
Sind die Deutschen auf einmal so schlau?
Oder ist das Abitur plötzlich so leicht?"
Macht sich Agarwala mit dem Dossier nicht zum Sprecher jener,
die sich letztlich Macht oder Exklusivität erhalten und deshalb den Zugang zur
Hochschulreife wieder erschweren möchten? Sind es wirklich „bequemere Typen“,
die das Abitur für alle organisieren und sich um entsprechende Rahmenbedingungen
kümmern?
Ich habe gerade als Großelternteil an der Abschlussfeier eines
Gymnasiums im ländlichen Raum mit 170 Absolventen teilgenommen, in dem nach
meinem Eindruck die Rahmenbedingungen stimmten. Die Gesamtfeier stand unter dem
sinnigen Motto „aus der Ther-abi entlassen“ und gliederte sich in Gottesdienst,
akademische Feier und Abschlussball. Alle
drei Feiern waren wie aus einem Guss, weil sie von den Abiturienten maßgeblich mit
gestaltet wurden. Ich wurde an Pestalozzi erinnert, der seine pädagogischen
Grunderfahrungen unter sozial Benachteiligten erwarb und eine einheitliche
Bildung von Kopf, Herz und Hand postulierte.
Der Gottesdienst war herzbewegend, indem er bewusst machte,
dass wir auch als Leistungsträger in unserem weiteren Leben segnenden Zuspruch
brauchen.
Die akademische Feier ehrte die erbrachten Leistungen. Denkt
man an den Kopf, dann mag die Anerkennung des Altphilologen-Landesverbandes für
herausragende Leistungen in Latein belegen, dass durchaus auch gehobene Prüfungsstandards
anzunehmen sind. Das Reifezeugnis wurde jedem Absolventen einzeln von der
jeweiligen Stammkursleitung unter dem Beifall der Versammelten überreicht. Dieser
war besonders stark bei den Geehrten, von denen die Mitschüler wussten, dass
die vorherige Zulassung zur Prüfung gefährdet war.
Den Abschlussball habe ich nicht besucht, doch erfahren,
dass auch er in einer allgemein gelösten Stimmung lange zum Verweilen einlud.
Zu diesem Abschluss hatten die Absolventen eine gebundene
Abi-Zeitung erstellt. In ihr war Platz für persönliche Widmungen vorgehalten worden.
Denke ich an Kopf, Herz und Hand, dann beeindruckten mich besonders drei dieser
Eintragungen.
Du denkst richtig! –
Wow älteste Freundin!
Ich bin super stolz auf Dich. Mit Dir kann man super reden, ernste Themen,
verrückte Dinge –
Auch wenn Du manchmal
keinen Bock auf meine Probleme hattest, warst Du immer für mich da und das
bedeutet mir unglaublich viel –
Wenn ich an meine eigene und die Biographie meiner leiblichen
Brüder denke, dann musste der Älteste schon mit 12 Jahren (erstes
Nachkriegsjahr) in die Gärtnerlehre. Die zwei im Alter nachfolgenden begannen
mit 14 Jahren eine Bäcker- sowie eine Tischler- und mein körperbehinderter
Bruder mit 15 Jahren eine Malerlehre.
Ich erwarb mit 16 Jahren den Realschulabschluss und begann eine
Maurerausbildung und weiß noch, dass ich sehr bald danach eine Buchclub-Werbung
mit dem Argument zurückwies, dass ich abends zu müde sei, um noch etwas zu
lesen. Später hatte ich Glück und konnte mein Abitur an einem Aufbaugymnasium
nachholen. Letztlich wurde ich Lehrer an einem Berufskolleg für Hörgeschädigte.
Wir sollten dankbar dafür sein, dass sich der Zugang zum Abitur heute an den Mindestanforderungen
orientiert und unser Schulsystem Durchlässigkeit zu allen Bildungsabschlüssen
anbietet. Sicher brauchen wir vermehrt Brückenkurse für den Einstieg in die
Hochschulbildung, doch die ist zu schaffen, wenn Kopf, Herz und Hand gelernt
haben, zusammenzuwirken.
p.s. ob mein Leserbrief wohl in der Zeit veröffentlicht wird?
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